In diesen Tagen jähren sich die Nürnberger Prozesse zum 80. Mal. Die Bilder der angeklagten Nazi-Größen auf der Anklagebank haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Was mich bei meinen Recherchen immer wieder erschüttert: Die fast vollständige Abwesenheit von Reue bei den Angeklagten.
«Die meisten der Nazi-Führer zeigten ein erschreckendes Maß an moralischer Blindheit«, erklärt Historikerin Frieda Bergmann im Gespräch. «Sie betrachteten sich als Opfer einer siegreichen Justiz, nicht als Täter.» Diese Wahrnehmungsverzerrung zieht sich wie ein roter Faden durch die Prozessdokumentation. Die juristische Innovation von Nürnberg lag in der Schaffung neuer Rechtsnormen für beispiellose Verbrechen. Zum ersten Mal standen Staatsführer für Angriffskriege und systematische Menschheitsverbrechen vor Gericht.
Letzten Sommer stand ich im historischen Gerichtssaal 600. Die Atmosphäre dort ist erdrückend. Zwischen den Holzpaneelen schien die Luft noch immer schwer von den Lügen und Ausflüchten jener Männer, die Europa ins Verderben gestürzt hatten. Mein Großvater war damals als junger Journalist anwesend. «Die saßen da, als ginge es sie nichts an», erzählte er mir oft.
Die Nürnberger Prozesse markieren den Beginn eines globalen Unrechtsbewusstseins. In einer Zeit, in der Geschichtsrevisionismus wieder salonfähig wird, mahnen sie uns: Verantwortung kann nicht abgestreift werden. Die Leugnung der eigenen Schuld ist oft ihre schärfste Bestätigung.