Morgens um sechs, Nebelschwaden hängen über den Wiesen. Mein Fahrrad gleitet fast lautlos über den gut ausgebauten Radweg, der einst Todesstreifen war. Das Grüne Band, einst deutsch-deutsche Grenze, ist heute ein 1.400 Kilometer langer Naturkorridor von der Ostsee bis zum Dreiländereck Bayern-Thüringen-Tschechien. Ein Paradox: Wo früher Menschen getrennt wurden, verbindet heute ein einzigartiges Ökosystem.
«Der ehemalige Todesstreifen hat sich zum Lebensraum entwickelt», erklärt Dr. Kai Frobel, einer der Initiatoren des Projekts. Über 1.200 bedrohte Tier- und Pflanzenarten haben hier Zuflucht gefunden. Gestern entdeckte ich eine seltene Orchidee zwischen den Wiesen – ein unerwartetes Geschenk der Geschichte. An manchen Stellen ragen noch Wachtürme aus dem Grün, stumme Zeugen der Teilung. Die Kontraste sind beeindruckend: Blühende Natur neben Relikten einer dunklen Vergangenheit.
Besonders beeindruckt hat mich der Abschnitt bei Point Alpha in der Rhön. Hier standen sich NATO und Warschauer Pakt direkt gegenüber. Eine ältere Dame erzählte mir von Familien, die jahrzehntelang nur wenige Kilometer, aber eine Welt voneinander getrennt waren. «Wir konnten die Lichter im anderen Deutschland sehen, aber nicht hinüber,» sagte sie mit brüchiger Stimme.
Was einst trennte, verbindet heute. Das Grüne Band ist mehr als ein Naturschutzprojekt – es ist ein lebendes Denkmal deutscher Geschichte. Ein Ort, an dem man radelt, wandert, gedenkt und staunt. Über die Heilkraft der Natur und die Überwindung von Grenzen.