Als Anna-Marie Schmidt, Journalistin für gesellschaftliche Themen:
Der Morgenkaffee in meinem Lieblingscafé kostet jetzt vier Euro statt drei. Die Inflationswelle spüren besonders unsere Rentner. Vielleicht erklärt das den Mann am Nebentisch – silbergraues Haar, konzentriert über Stellenanzeigen gebeugt.
Die neue Aktivrente macht’s möglich. Seit Januar 2023 können Rentner unbegrenzt hinzuverdienen, ohne Abzüge bei ihrer Altersrente zu befürchten. Eine Revolution für über 21 Millionen Rentenempfänger in Deutschland. Die frühere Hinzuverdienstgrenze von 6.300 Euro jährlich ist Geschichte – eine Reaktion auf den wachsenden Fachkräftemangel.
«Die Aktivrente ist ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung des Arbeitskräftemangels und zur finanziellen Entlastung älterer Menschen», erklärt Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK. Die Zahlen geben ihr Recht: Bereits jetzt arbeiten etwa 12 Prozent der Ruheständler weiter.
Letzte Woche traf ich Herrn Müller, 68, früher Elektroingenieur. «Ich arbeite jetzt zwei Tage die Woche. Das Geld ist willkommen, aber ehrlich? Es geht mir um die Struktur im Alltag und das Gefühl, gebraucht zu werden.»
Die Regelung betrifft nur Altersrentner, nicht Erwerbsminderungsrenten. Für Letztere gelten weiterhin Grenzen. Informationen dazu bietet die Deutsche Rentenversicherung.
Während manche die Aktivrente als Fortschritt feiern, sehen Kritiker darin ein Symptom für zu niedrige Grundrenten. Möglicherweise spiegelt der arbeitende Rentner am Nachbartisch beide Realitäten wider – die Freiheit der Wahl und die Notwendigkeit des Zuverdiensts.