Die Apothekenregale spiegeln unsere alternde Gesellschaft wider. Zwischen bunten Erkältungsmitteln und Schmerztabletten finden sich immer mehr Präparate für chronische Altersleiden. Doch passen unsere Medikamente überhaupt zu den Bedürfnissen älterer Menschen? Der bekannte Virologe Hendrik Streeck bezweifelt das und fordert nun eine grundlegende Reform der Altersmedizin in Deutschland.
«Unsere Medikamente werden hauptsächlich an jüngeren Testpersonen erforscht, dann aber vor allem von Senioren eingenommen», erklärt Streeck bei einer Fachkonferenz in Berlin. «Das ist, als würde man Kinderkleidung für Erwachsene produzieren.» Die Zahlen geben ihm recht: Fast 42 Prozent aller verschreibungspflichtigen Medikamente gehen an Menschen über 65, obwohl diese Gruppe nur 22 Prozent der Bevölkerung ausmacht.
Letzte Woche erlebte ich diese Problematik hautnah. Meine 78-jährige Tante nahm sieben verschiedene Tabletten täglich ein. Ihr Hausarzt hatte keine Zeit, die Wechselwirkungen gründlich zu prüfen. Nach einem Schwindel-Zusammenbruch stellte sich heraus: Zwei ihrer Medikamente verstärkten sich gegenseitig. Ein klassischer Fall von Polypharmazie.
Das Bundesgesundheitsministerium reagiert nun mit einer Arbeitsgruppe «Altersgerechte Medizin». Streeck fordert jedoch mehr: «Wir brauchen verpflichtende Studien mit älteren Probanden und bessere Ausbildung für Ärzte im Bereich Altersmedizin.» Die demografische Entwicklung macht das Thema drängend. In einer Gesellschaft, die immer älter wird, sollte die Medizin mitwachsen – nicht nur in Jahren, sondern auch in Verständnis und Spezialisierung.