Ein Jahr SPD-BSW-Koalition in Brandenburg: Zwischen Hoffnung und Herausforderung
In den Gängen des Potsdamer Landtags herrscht heute eine andere Atmosphäre als noch vor einem Jahr. Damals, im November 2023, bildeten SPD und BSW eine für Brandenburg neuartige Koalition. Nach zwölf Monaten gemeinsamer Regierungsarbeit ziehen viele Brandenburger nun eine erste Bilanz. Die ungewöhnliche Partnerschaft zwischen den Sozialdemokraten und dem Bündnis Sahra Wagenknecht hat sowohl Erfolge vorzuweisen als auch mit Spannungen zu kämpfen.
«Diese Koalition ist ein Experiment, das wir gewagt haben, weil Brandenburg Stabilität braucht», erklärt Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) im Gespräch mit unserer Redaktion. Er betont die Kompromissbereitschaft beider Seiten in schwierigen Zeiten. Die BSW-Fraktionsvorsitzende Katja Wolf sieht es ähnlich: «Trotz unterschiedlicher Grundüberzeugungen haben wir in vielen Bereichen pragmatische Lösungen gefunden.»
Erfolge und gemeinsame Projekte
Die rot-rote Landesregierung konnte in ihrem ersten Jahr mehrere Vorhaben umsetzen. Besonders in der Bildungspolitik wurden Fortschritte erzielt. Das Landesprogramm für mehr Lehrkräfte in ländlichen Regionen zeigt erste Erfolge. 215 neue Lehrerstellen wurden geschaffen, davon 80 Prozent in Regionen außerhalb des Speckgürtels um Berlin.
Auch bei der medizinischen Versorgung gibt es positive Entwicklungen. Die mobile Arztpraxis, ein Pilotprojekt in der Uckermark, wird von der Bevölkerung gut angenommen. «Wir erreichen damit Menschen, die sonst keinen regelmäßigen Zugang zu ärztlicher Versorgung hätten», sagt Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher. Über 1.200 Patientenkontakte wurden in den ersten sechs Monaten registriert.
Im Bereich der Infrastruktur hat die Koalition den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs vorangetrieben. Das 29-Euro-Ticket für Brandenburg wurde eingeführt und von bereits 85.000 Menschen erworben. «Das zeigt, dass wir ein Angebot geschaffen haben, das den Bedürfnissen vieler Brandenburger entspricht», freut sich Verkehrsminister Rainer Genilke.
Unterschiedliche Positionen zur Außenpolitik
Doch nicht alles läuft harmonisch in der ungewöhnlichen Koalition. Besonders in der Außen- und Sicherheitspolitik treten Differenzen offen zutage. Während die SPD weitgehend die Ukraine-Politik der Bundesregierung unterstützt, fordert das BSW einen diplomatischen Ansatz und lehnt Waffenlieferungen ab.
Diese Spannungen zeigten sich deutlich bei der Abstimmung über eine Resolution zur Unterstützung der Ukraine im Landtag. SPD-Abgeordnete stimmten dafür, BSW-Vertreter dagegen. «In der Landespolitik arbeiten wir gut zusammen, aber in grundsätzlichen Fragen der Außenpolitik bleiben unterschiedliche Positionen bestehen», erklärt BSW-Politiker Robert Crumbach.
Ministerpräsident Woidke betont, dass beide Parteien von Anfang an vereinbart hätten, in außenpolitischen Fragen unterschiedlicher Meinung sein zu dürfen. «Entscheidend ist, dass wir uns auf die Lösung der Probleme hier in Brandenburg konzentrieren.»
Herausforderungen bei Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik
Auch in der Wirtschaftspolitik gibt es unterschiedliche Ansätze. Die SPD setzt auf die Ansiedlung internationaler Unternehmen, während das BSW regionale Wirtschaftskreisläufe stärker fördern will. Der Kompromiss: Ein neues Förderprogramm für kleine und mittlere Unternehmen mit einem Volumen von 50 Millionen Euro, das beide Ansätze verbindet.
In der Flüchtlingspolitik haben beide Parteien einen pragmatischen Mittelweg gefunden. Die Landesregierung setzt einerseits auf konsequente Abschiebungen von Menschen ohne Bleiberecht, investiert andererseits aber auch in Integrationsmaßnahmen für anerkannte Flüchtlinge. «Wir stehen für eine humane, aber auch realistische Flüchtlingspolitik», sagt Innenminister Michael Stübgen.
Stimmen aus der Bevölkerung
Die Brandenburger nehmen die Koalition unterschiedlich wahr. «Ich hatte Bedenken, aber bisher sehe ich, dass sie sich um unsere Probleme hier vor Ort kümmern», sagt Rentnerin Gisela Hoffmann aus Prenzlau. Der Handwerksmeister Thomas Lehmann aus Cottbus meint: «Wichtig ist doch, dass etwas für die Region getan wird. Egal welche Parteien das machen.»
Kritischer sieht es Studentin Jana Weber aus Potsdam: «Die grundlegenden Widersprüche zwischen SPD und BSW werden langfristig zu größeren Problemen führen. Das ist absehbar.»
Ausblick auf das zweite Jahr
Für das kommende Jahr stehen wichtige Projekte an. Die Digitalisierung der Verwaltung soll beschleunigt werden. Ein Programm zur Stärkung des ländlichen Raums mit 100 Millionen Euro Fördervolumen wird vorbereitet. Zudem will die Koalition den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben, wobei das BSW auf mehr Bürgerbeteiligung drängt.
Politikwissenschaftlerin Dr. Claudia Meyer von der Universität Potsdam sieht die Koalition in einer entscheidenden Phase: «Das erste Jahr ist oft von einem Honeymoon-Effekt geprägt. Im zweiten Jahr wird sich zeigen, ob die Zusammenarbeit auch bei wachsendem politischen Druck funktioniert.»
Ministerpräsident Woidke bleibt optimistisch: «Brandenburg hat schon immer gezeigt, dass wir pragmatische Lösungen finden können. Diese Koalition arbeitet für alle Brandenburger, nicht für parteipolitische Interessen.»
Die ungewöhnliche Partnerschaft zwischen SPD und BSW in Brandenburg bleibt ein politisches Experiment mit offenem Ausgang. Nach einem Jahr zeigt sich: Wo es um konkrete Verbesserungen für die Menschen in Brandenburg geht, funktioniert die Zusammenarbeit meist gut. Bei grundsätzlichen politischen Fragen bleiben die Unterschiede bestehen. Entscheidend wird sein, ob der pragmatische Ansatz auch in den kommenden Jahren trägt.