Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj besuchte gestern Berlin unter massiven Sicherheitsvorkehrungen. Als Staatsoberhaupt eines Landes im Krieg gilt für ihn die höchste Sicherheitsstufe 0 – ein Ausnahmezustand für die hauptstädtischen Sicherheitsbehörden.
«Die Sicherheitsstufe 0 bedeutet praktisch eine Nebelwand um den gesamten Besuch», erklärt Polizeiexperte Michael Weber. «Vom Moment der Landung bis zur Abreise wird jede Bewegung minutiös geplant und abgesichert.»
Bereits Tage vor Selenskyjs Ankunft begannen die Vorbereitungen. Spezialeinheiten der Polizei inspizierten alle Orte, die der Präsident besuchen würde. Gullydeckel entlang der Fahrtrouten wurden versiegelt, Briefkästen und Mülleimer entfernt oder versiegelt. Scharfschützen positionierten sich auf strategisch wichtigen Gebäuden.
Ein ehemaliger Personenschützer des Bundeskriminalamts, der anonym bleiben möchte, beschreibt den Aufwand: «Bei Staatsgästen dieser Gefährdungsstufe arbeiten wir mit Hunderten Beamten. Die Route wird mehrfach geändert, teilweise erst kurz vor der Durchführung festgelegt. Nichts darf dem Zufall überlassen werden.»
Die Berliner Polizei sperrte während der Durchfahrt des Konvois ganze Straßenzüge. Anwohner bemerkten schon am frühen Morgen die verstärkte Polizeipräsenz. «Ich wollte nur zum Bäcker, aber plötzlich standen überall Beamte», berichtet Anwohnerin Claudia Müller aus der Nähe des Regierungsviertels.
Für die Sicherheitsbehörden bedeutet ein solcher Besuch monatelange Vorbereitung. Geheimdienstinformationen werden ausgewertet, Bedrohungsanalysen erstellt und Notfallpläne entwickelt. Die Zusammenarbeit zwischen BKA, Landespolizei, Bundesnachrichtendienst und ausländischen Partnerdiensten muss reibungslos funktionieren.
Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik bestätigte den Großeinsatz: «Wir setzen alle verfügbaren Kräfte ein, um die Sicherheit unseres Staatsgastes zu gewährleisten und gleichzeitig die Einschränkungen für die Berliner so gering wie möglich zu halten.»
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Abwehr möglicher Drohnenangriffe. Spezialisierte Einheiten mit Störsendern und Abfangdrohnen sichern den Luftraum über dem Regierungsviertel. Die Flugverbotszone wurde temporär ausgeweitet.
Die Unterbringung erfolgt typischerweise im schwer gesicherten Hotel Adlon oder in staatlichen Gästehäusern wie Schloss Meseberg. Die genauen Aufenthaltsorte werden jedoch aus Sicherheitsgründen nicht öffentlich kommuniziert.
Bemerkenswert ist die digitale Sicherheit: Selenskyjs Delegation nutzt spezielle abhörsichere Kommunikationsgeräte. WLAN-Netzwerke werden gemieden, stattdessen kommen verschlüsselte Satellitenverbindungen zum Einsatz.
Für Berlin bedeutet ein solcher Besuch erhebliche logistische Herausforderungen. Verkehrsexperte Thomas Schulz: «Die spontanen Straßensperrungen verursachen zwar kurzfristig Staus, aber die meisten Berliner haben Verständnis für die Notwendigkeit dieser Maßnahmen.»
Die Kosten für einen solchen Staatsbesuch unter höchster Sicherheitsstufe belaufen sich auf mehrere Millionen Euro. Neben dem Personaleinsatz schlagen besonders die technischen Sicherheitsvorkehrungen zu Buche.
Der Aufwand steht in direktem Zusammenhang mit der Bedrohungslage. Sicherheitsexpertin Dr. Andrea Schmidt von der Universität Potsdam: «Selenskyj ist zweifellos eines der am stärksten gefährdeten Staatsoberhäupter weltweit. Die Gefahr durch russische Agenten ist real und wird von den Sicherheitsbehörden sehr ernst genommen.»
Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen bemühen sich die Behörden um einen würdevollen Staatsbesuch. «Die Kunst besteht darin, maximale Sicherheit zu gewährleisten, ohne dass es wie ein Ausnahmezustand wirkt», erklärt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes.
Für die Berliner Bevölkerung bedeutet der hochrangige Besuch vor allem eines: Geduld. Während die meisten Einschränkungen nur kurzzeitig bestehen, ist die verstärkte Polizeipräsenz im gesamten Stadtgebiet deutlich spürbar.
Nach dem Besuch werden die Sicherheitsmaßnahmen evaluiert und Erfahrungen für künftige Staatsbesuche gesammelt. Die Berliner Sicherheitsbehörden haben in den letzten Jahren reichlich Erfahrung mit hochrangigen Staatsbesuchen gesammelt – doch ein Besuch unter Kriegsbedingungen bleibt eine besondere Herausforderung.