In der historischen Mitte Berlins bahnt sich ein grundlegender Wandel an. Der Senat hat eine neue Verkehrsvision vorgestellt, die das Zentrum der Hauptstadt grüner, lebenswerter und weniger vom Autoverkehr dominiert gestalten soll. «Berlin soll mehr wie Amsterdam und weniger wie Houston werden«, erklärte Verkehrssenatorin Ute Bonde bei der Präsentation der Pläne im Roten Rathaus.
Die Vision umfasst den gesamten Bereich zwischen Hauptbahnhof, Alexanderplatz und Potsdamer Platz – das Herzstück Berlins, das täglich von hunderttausenden Menschen besucht wird. Derzeit prägen dort breite Straßen und parkende Autos das Stadtbild. Nach Erhebungen der Verkehrsbehörde fließen hier täglich über 120.000 Fahrzeuge durch, obwohl nur etwa 30 Prozent der Anwohner ein eigenes Auto besitzen.
Die neue Planung sieht vor, den Autoverkehr in der Innenstadt um 40 Prozent zu reduzieren. Dafür sollen Fahrspuren verringert, Parkplätze umgewandelt und Durchgangsverkehr auf die Stadtautobahn umgeleitet werden. «Wir wollen den wertvollen öffentlichen Raum gerechter verteilen», betonte Stadtentwicklungssenator Michael Weber. «Momentan nehmen Autos über 60 Prozent der Verkehrsfläche ein, obwohl sie nur etwa ein Drittel der Fortbewegung ausmachen.»
An der Friedrichstraße, wo bereits eine temporäre Fußgängerzone getestet wurde, soll nun eine dauerhafte autofreie Zone entstehen. Die Erfahrungen zeigten laut Wirtschaftsamt eine Steigerung der Einzelhandelsumsätze um 15 Prozent während der Testphase. Anwohnerin Petra Müller freut sich über die Pläne: «Endlich kann man hier flanieren und die schönen Gebäude bewundern, ohne ständig auf den Verkehr achten zu müssen.»
Der Umbau soll schrittweise erfolgen. Bis 2026 werden zunächst mehr Radwege und breitere Gehwege geschaffen. Die Unter den Linden erhält durchgängig geschützte Radspuren, und um den Gendarmenmarkt entsteht eine verkehrsberuhigte Zone. Als Ausgleich für wegfallende Parkplätze plant der Senat vier neue Quartiersgaragen am Rand des Zentrums.
Nicht alle sind begeistert. Die Berliner Wirtschaftsverbände warnen vor Einbußen durch schlechtere Erreichbarkeit. «Handwerker und Lieferanten müssen weiterhin ihre Kunden erreichen können«, fordert Handwerkskammerpräsident Thomas Herrmann. Der Senat versichert, dass Lieferverkehr und Anwohnerparkplätze erhalten bleiben.
Ein zentraler Bestandteil der Vision ist mehr Grün in der City. Wo heute Autos parken, sollen künftig 2.000 neue Bäume wachsen. Auch Wasserflächen und begrünte Plätze sind geplant, um das Stadtklima zu verbessern. «Bei den Sommertemperaturen der letzten Jahre brauchen wir dringend mehr Schatten und Kühlung in der Innenstadt», erklärt Klimastadträtin Jana Fischer.
Der öffentliche Nahverkehr wird ausgebaut, um Alternativen zum Auto zu stärken. Die BVG erhält auf zentralen Achsen eigene Busspuren, und vier neue Straßenbahnlinien sollen das Zentrum erschließen. Die erste Linie zwischen Hauptbahnhof und Alexanderplatz wird bereits 2025 in Betrieb gehen.
Für Familien und ältere Menschen entstehen mehr Sitzbänke, öffentliche Toiletten und barrierefreie Übergänge. «Eine Stadt für Menschen jeden Alters«, nennt es Sozialstadtrat Klaus Werner. Besonders Senioren und Eltern mit Kindern sollen sich sicherer bewegen können.
Die Gesamtkosten der Umgestaltung werden mit rund 280 Millionen Euro beziffert. «Eine Investition in die Zukunft», verteidigt Finanzsenatorin Claudia Richter die Ausgaben. «Lebenswerte Städte sind auch wirtschaftlich erfolgreicher. Das zeigen Beispiele aus Kopenhagen, Wien und Barcelona.»
Die Umsetzung beginnt im Frühjahr 2025 mit ersten Pilotprojekten. Bürger können die Pläne ab nächstem Monat in einer Ausstellung im Stadtmuseum begutachten und über eine Online-Plattform Vorschläge einbringen. «Wir wollen die Berliner mitnehmen auf dem Weg zu einer menschenfreundlicheren Innenstadt», betont Verkehrssenatorin Bonde. «Berlin hat die Chance, ein Vorbild für moderne Stadtentwicklung zu werden.«