Das heimliche Naschen auf Erdbeerfeldern hat mich schon als Kind fasziniert. Ein süßer Diebstahl, den fast jeder schon begangen hat. Doch was früher als kleine Sünde galt, nimmt heute besorgniserregende Ausmaße an. Auf schleswig-holsteinischen Erdbeerhöfen greifen Besucher immer dreister zu – nicht nur für den kleinen Hunger zwischendurch, sondern systematisch und in großen Mengen.
«Manche kommen mit der ganzen Familie und essen sich regelrecht satt», berichtet Landwirt Klaus Meyer von seinem Hof nahe Kiel. «Das ist kein Probieren mehr, sondern organisierter Diebstahl.» Besonders ärgerlich: Einige Kunden pflücken sogar zwei Körbe – einen zum Bezahlen, einen zum stillen Verzehr. Die wirtschaftlichen Einbußen sind erheblich. Letzten Sommer verloren manche Betriebe bis zu 20 Prozent ihrer Ernte durch unerlaubtes Naschen.
Als ich kürzlich selbst zum Pflücken ging, bemerkte ich ein junges Paar, das mehr Beeren im Mund als im Korb hatte. Der Feldaufseher sprach sie höflich, aber bestimmt an. Die neuen Regeln sind sichtbar: Verbotsschilder, Aufsichtspersonal und sogar Videoüberwachung an manchen Standorten. Einige Höfe haben bereits auf Vorab-Eintrittskarten umgestellt, um die Kontrolle zu behalten.
Ist es schade, dass ein sommerliches Vergnügen so reglementiert werden muss? Gewiss. Doch die Erdbeerbauern kämpfen nicht nur mit Naschern, sondern auch mit steigenden Kosten und Klimaextremen. Eine kleine Kostprobe bleibt meist erlaubt – solange es bei einer Handvoll bleibt. Die süße Versuchung der Erdbeere lehrt uns eine bittere Lektion über Anstand und wirtschaftliche Realitäten im ländlichen Raum.