Gestern saß ich im Café, als eine hitzige Diskussion am Nebentisch meine Aufmerksamkeit erregte. «Die Parteien verteilen Richterposten unter sich wie Bonbons!» Der Ton war empört. Tatsächlich ist die aktuelle Debatte um die Verfassungsrichterwahl in Karlsruhe wieder einmal entbrannt und erhitzt die Gemüter weit über juristische Fachkreise hinaus.
Der Konflikt hat Tradition. Seit jeher werden die 16 Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts nach einem informellen Proporzsystem besetzt. Die großen Parteien beanspruchen dabei bestimmte «Erbhöfe». Durch den Aufstieg der AfD wird dieses System nun herausgefordert. Die Partei fordert mit ihrem Stimmgewicht im Bundestag eigene Vorschlagsrechte ein. «Das Verfassungsgericht darf nicht zum Spielball parteipolitischer Interessen werden«, mahnt die renommierte Verfassungsrechtlerin Professorin Sibylle Kessal-Wulf.
Letzte Woche sprach ich mit einem befreundeten Juristen. «Das System hat lange funktioniert, weil die Qualifikation der Kandidaten nie in Frage stand», erklärte er mir. «Aber jetzt geht es um Grundsätzliches.» Die Parteien ringen um eine Lösung. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit für Richterwahlen soll etabliert werden, um extremistische Einflüsse zu begrenzen.
Die Besetzungsfrage offenbart ein Dilemma unserer Demokratie: Wie sichern wir die Unabhängigkeit unserer wichtigsten Rechtsinstanz, wenn deren Besetzung politischen Mehrheiten unterliegt? Der Blick auf das Verfassungsgericht zeigt, wie fragil das Gleichgewicht zwischen demokratischer Legitimation und politischer Unabhängigkeit ist. Eine Frage, die uns alle angeht – nicht nur die aufgeregten Cafégäste.