Eine angespannte Stimmung liegt seit Tagen über den Straßen von Friedrichshain-Kreuzberg. Was als friedliche Demonstration gegen Polizeigewalt angekündigt war, artete gestern Abend in gewaltsame Ausschreitungen aus. Etwa 1.200 Demonstranten zogen durch die Straßen des Bezirks, während die Polizei mit rund 800 Beamten im Einsatz war.
Die Demonstration begann um 18 Uhr am Boxhagener Platz. Zunächst verlief alles friedlich, doch gegen 20 Uhr änderte sich die Lage dramatisch. An der Ecke Rigaer Straße/Liebigstraße – einem bekannten Brennpunkt – flogen plötzlich Flaschen und Steine in Richtung der Einsatzkräfte. Augenzeugen berichten von vermummten Demonstranten, die Pyrotechnik zündeten und Mülltonnen in Brand setzten.
«Ich habe so etwas noch nie erlebt», erzählt Anwohnerin Maren Schmidt (42). «Plötzlich waren überall Rauchschwaden und laute Knallgeräusche. Viele Nachbarn haben aus Angst ihre Fenster geschlossen und Kinder ins Innere der Wohnungen geholt.»
Die Berliner Polizei bestätigt zwölf verletzte Beamte, davon mussten drei im Krankenhaus behandelt werden. «Die Gewaltbereitschaft einiger Demonstranten hat uns überrascht», erklärt Polizeisprecher Michael Gassen. «Unsere Einsatzkräfte wurden gezielt mit gefährlichen Gegenständen beworfen.»
Die Organisatoren der Demonstration distanzieren sich von den Ausschreitungen. «Unser Anliegen war eine friedliche Kritik an polizeilichen Maßnahmen, keine Gewalt gegen Menschen», betont Clara Wegner vom Bündnis «Polizeikritik Berlin». «Die Eskalation durch einige wenige schadet unserem demokratischen Protest.»
Bezirksbürgermeisterin Clara Hermann zeigt sich bestürzt: «Friedlicher Protest ist ein demokratisches Grundrecht. Gewalt gegen Menschen und Sachbeschädigung sind jedoch durch nichts zu rechtfertigen und schaden dem berechtigten Anliegen der Demonstration.»
Die Situation beruhigte sich erst gegen Mitternacht. Die Polizei nahm 27 Personen vorläufig fest, gegen 41 weitere wurden Strafverfahren eingeleitet – hauptsächlich wegen Landfriedensbruchs, Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.
Der Sachschaden ist erheblich: Mehrere Schaufenster entlang der Demonstrationsroute wurden zerstört, sieben Autos beschädigt und zahlreiche Straßenschilder mit Farbe besprüht. Die Stadtreinigung begann noch in der Nacht mit den Aufräumarbeiten, die sich bis in die frühen Morgenstunden hinzogen.
Für viele Anwohner bleibt ein Gefühl der Verunsicherung. «Ich unterstütze das Recht auf Demonstration», sagt Ladenbesitzer Karim Ahmed (53), dessen Schaufenster zu Bruch ging. «Aber ich verstehe nicht, warum unschuldige Geschäftsleute und Anwohner die Leidtragenden sein müssen.»
Die Debatte über den Umgang mit Demonstrationen in Berlin hat durch diesen Vorfall neue Nahrung erhalten. Während Vertreter der Polizeigewerkschaft härtere Maßnahmen fordern, mahnen Bürgerrechtsorganisationen zur Besonnenheit und warnen vor Einschränkungen des Demonstrationsrechts.
Innensenatorin Iris Spranger kündigte eine gründliche Aufarbeitung an: «Wir werden die Ereignisse genau analysieren. Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut, aber die Sicherheit aller Berlinerinnen und Berliner ebenso.»
Für das kommende Wochenende sind weitere Demonstrationen in Berlin angekündigt. Die Polizei bereitet sich auf verstärkte Einsätze vor. Viele Berliner hoffen jedoch, dass der Dialog zwischen Demonstrierenden, Behörden und Anwohnern wieder in konstruktivere Bahnen gelenkt werden kann.