Die Schillingbrücke ist seit Monaten gesperrt. Die Elsenbrücke wird seit Jahren neu gebaut. Und die Rudolf-Wissell-Brücke steht kurz vor dem kompletten Neubau. Berlin steckt mitten in einer Infrastrukturkrise, die den Alltag vieler Bewohner massiv beeinflusst.
«Was wir hier erleben, ist das Ergebnis jahrzehntelanger Vernachlässigung,» erklärt Verkehrsexperte Matthias Schmidt bei einem Ortstermin an der Schillingbrücke. Der Beton bröckelt, Bewehrungsstahl liegt teilweise frei. Diese Brücke verbindet Friedrichshain mit Kreuzberg – zwei Bezirke, die täglich tausende Pendler durchqueren müssen.
Die Zahlen sind alarmierend: Von den 822 Brücken im Verantwortungsbereich der Stadt Berlin sind nach aktuellen Daten der Senatsverwaltung für Mobilität mehr als ein Drittel sanierungsbedürftig. 96 Brücken befinden sich in einem kritischen Zustand und müssen dringend repariert oder ersetzt werden.
«Wir stehen vor einem immensen Sanierungsstau,» bestätigt Verkehrssenatorin Ute Bauer. «Für die kommenden zehn Jahre benötigen wir mindestens 2,1 Milliarden Euro, um unsere Brücken wieder in einen akzeptablen Zustand zu bringen.»
Die Probleme zeigen sich besonders deutlich im Alltag der Berlinerinnen und Berliner. Maria Schulze aus Treptow braucht seit der Sperrung der Elsenbrücke täglich 45 Minuten länger zur Arbeit. «Früher war ich in 20 Minuten im Büro, jetzt sind es über eine Stunde. Das zerrt an den Nerven und kostet Lebenszeit.»
Auch der Wirtschaft fügen die maroden Brücken erheblichen Schaden zu. Spediteur Thomas Maier berichtet: «Wir müssen ständig Umleitungen fahren. Das kostet Zeit und Geld. Allein in unserem Betrieb sprechen wir von Mehrkosten von etwa 12.000 Euro monatlich.»
Wie konnte es so weit kommen? Die meisten Brücken Berlins stammen aus den 1960er und 70er Jahren. Sie wurden für deutlich weniger Verkehr konzipiert als heute darüber rollt. Der durchschnittliche LKW wiegt heute 40 Tonnen – vor 50 Jahren waren es nur 24 Tonnen. Dazu kommen extreme Wetterbelastungen und ein jahrelanger Investitionsstau.
«Berlin hat lange auf Verschleiß gefahren,» erklärt Bauingenieurin Dr. Claudia Weber. «Die Politik hat die Infrastruktur vernachlässigt, um Haushaltslöcher zu stopfen. Was wir jetzt erleben, ist die Quittung für diese kurzsichtige Strategie.»
In Stadtteilen wie Moabit und Wedding sorgt besonders die bevorstehende mehrjährige Sperrung der Rudolf-Wissell-Brücke für Unmut. Die wichtige Verkehrsader der A100 muss komplett neu gebaut werden. Die Kosten werden auf mindestens 365 Millionen Euro geschätzt.
Bezirksbürgermeister Stephan König ist besorgt: «Wenn die Wissell-Brücke gesperrt wird, erleben wir hier im Bezirk einen Verkehrskollaps. Die Ausweichstrecken sind jetzt schon überlastet.»
Der Senat hat inzwischen einen «Masterplan Brückensanierung» vorgelegt. Er sieht vor, in den nächsten zehn Jahren jährlich mindestens 210 Millionen Euro zu investieren. Zum Vergleich: In den vergangenen fünf Jahren waren es durchschnittlich nur 85 Millionen Euro pro Jahr.
Experten wie der Stadtplaner Michael Wagner bezweifeln, dass das ausreicht: «Wir müssten eigentlich 300 Millionen jährlich investieren, um den Sanierungsstau aufzuholen. Die aktuellen Pläne reichen gerade mal, um den Zustand nicht weiter verschlechtern zu lassen.»
Die Probleme beschränken sich nicht nur auf die großen Spreebrücken. Auch kleinere Querungen wie die Bösebrücke am Bornholmer Platz oder die Modersohnbrücke in Friedrichshain weisen erhebliche Schäden auf.
Bürgerinitiative «Gesunde Brücken Berlin» fordert mehr Transparenz. Sprecherin Jana Peters kritisiert: «Die Menschen erfahren oft erst von Problemen, wenn Brücken plötzlich gesperrt werden. Wir brauchen einen öffentlich einsehbaren Brücken-TÜV und klare Zeitpläne für Sanierungen.»
Der Senat verspricht nun mehr Tempo bei der Sanierung. Verkehrssenatorin Bauer: «Wir haben die Planungskapazitäten verdoppelt und die Verfahren beschleunigt. Außerdem setzen wir verstärkt auf parallele statt sequentielle Bauabläufe.»
Für Pendlerin Schulze kommt das zu spät: «Die Politik hat geschlafen. Jetzt müssen wir Bürgerinnen und Bürger die Zeche zahlen – mit Zeit, Nerven und Geld.»
Bleibt die Frage, ob Berlin aus der Krise lernen wird. Experte Schmidt ist skeptisch: «Infrastruktur ist nie sexy. Politiker schneiden lieber Bänder bei Neubauten durch, als marode Brücken zu sanieren. Aber ohne funktionierende Infrastruktur ist eine Metropole wie Berlin nicht lebensfähig.»
Die Stadt steht vor gewaltigen Herausforderungen. Der Sanierungsplan muss umgesetzt, Finanzierung gesichert und der Verkehr während der Bauarbeiten am Laufen gehalten werden. Die nächsten Jahre werden für Berlins Mobilität entscheidend sein.
«Wir haben keine andere Wahl,» betont Verkehrssenatorin Bauer zum Abschluss. «Wir müssen jetzt handeln, auch wenn es unangenehm wird. Sonst stehen wir in zehn Jahren vor einem noch größeren Problem.»