In der Debatte um Bürgergeld-Sanktionen wird oft mit erhobenem Zeigefinger argumentiert. Während Politik härtere Strafen für Jobverweigerer fordert, zeigt die Forschung ein differenzierteres Bild. Der Sozialforscher Stefan Sell von der Hochschule Koblenz sieht durchaus nachvollziehbare Gründe, warum Menschen bestimmte Arbeitsangebote ablehnen.
Die Realität am Arbeitsmarkt ist komplexer als die politischen Schlagzeilen. «Viele Stellenangebote sind für Leistungsberechtigte objektiv unattraktiv – sei es wegen niedriger Löhne, schlechter Arbeitsbedingungen oder unpassender Arbeitszeiten», erklärt Sell im Gespräch mit der taz. Besonders alleinerziehende Mütter stehen oft vor unüberwindbaren Hürden. Die Kinderbetreuung lässt sich mit Schichtdienst kaum vereinbaren.
Meine Begegnung mit einer jungen Mutter im Jobcenter bleibt mir in Erinnerung. Trotz Ausbildung und Motivation fand sie keine Stelle, die mit der Betreuung ihres dreijährigen Sohnes vereinbar war. Die offiziellen Zahlen bestätigen: Nur etwa drei Prozent aller Bürgergeld-Empfänger verweigern tatsächlich zumutbare Arbeit. Die überwiegende Mehrheit will arbeiten – unter fairen Bedingungen.
Die aktuelle Diskussion lenkt von strukturellen Problemen ab. Statt Menschen zu stigmatisieren, sollten wir über bessere Arbeitsbedingungen und flexible Betreuungsangebote nachdenken. Vielleicht liegt die Lösung nicht in schärferen Sanktionen, sondern in einem Arbeitsmarkt, der sich den Menschen anpasst – und nicht umgekehrt.