Die Stimmung knistert auf dem Parteitag der Grünen. Gespannte Gesichter, gedämpfte Gespräche. Mittendrin Cem Özdemir, der mahnende Worte an seine Partei richtet. «Wähler gewinnt man nicht mit Parolen aus dem Wolkenkuckucksheim«, sagt der Bundeslandwirtschaftsminister mit überraschender Deutlichkeit. Ein Weckruf zur rechten Zeit? In den Umfragen rutschen die Grünen seit Monaten ab.
Die Mahnung kommt nicht von ungefähr. Nach den Niederlagen in Ostdeutschland sucht die Partei nach Orientierung. Özdemir plädiert für einen pragmatischen Kurs. Keine ideologischen Grabenkämpfe mehr. Klimaschutz bleibt zentral, muss aber mit wirtschaftlicher Vernunft verbunden werden. Die Partei müsse «dort sein, wo die Menschen sind«, nicht in abstrakten Ideenwelten.
Beim Thema Migration wirkt er besonders entschlossen. «Wir müssen Humanität und Ordnung zusammenbringen«, betont der Minister. Das kommt nicht bei allen gut an. Am Rande des Saals tuscheln einige Parteilinke kritisch. Ich beobachte, wie junge Delegierte skeptische Blicke tauschen.
Vor zwei Jahren erlebte ich eine ähnliche Situation auf einem Parteitag in Berlin. Damals wurden pragmatische Stimmen noch ausgebuht. Heute nicken viele nachdenklich. Die Realität hat die Partei eingeholt.
Was bedeutet das für die anstehenden Wahlen? Özdemirs Ansatz könnte die Partei aus der Defensive holen. Doch ob das reicht, bleibt fraglich. Die Grünen stehen am Scheideweg zwischen Idealismus und Pragmatismus. Eine Balance, die ich seit Jahren selten so herausgefordert sah.