Der Weg vom Fürsprech zum Kritiker ist manchmal kürzer als gedacht. So erlebt es derzeit Friedrich Merz in seiner Haltung zu Israel. Vor dem deutschen Bundestag fand der CDU-Vorsitzende ungewohnt kritische Worte zur israelischen Kriegsführung in Gaza. «Das Leid der Zivilbevölkerung ist so groß geworden, dass wir nicht länger schweigen können,» sagte er in seiner Rede.
Diesen Kurswechsel hätte ich vor wenigen Monaten kaum für möglich gehalten. Noch im Oktober stand Merz fest an Israels Seite, betonte das «unverbrüchliche Recht auf Selbstverteidigung«. Die Verwandlung vom bedingungslosen Unterstützer zum mahnenden Kritiker vollzog sich schrittweise. In persönlichen Gesprächen mit jüdischen Freunden spürte ich ähnliche Veränderungen. Die anfängliche Geschlossenheit weicht zunehmend differenzierten Positionen.
Besonders bemerkenswert ist der Zeitpunkt von Merz› Kritik. Er erfolgt kurz nach dem Auswärtigen Amt, das bereits humanitäre Bedenken äußerte, aber vor der offiziellen Regierungslinie. Sicherheitsexperte Professor Michael Wolffsohn beschreibt diesen Wandel als «notwendigen Reifungsprozess in der deutschen Israel-Politik». Die uneingeschränkte Solidarität wird nun von einer kritischen Freundschaft abgelöst.
Diese Neujustierung im deutsch-israelischen Verhältnis berührt mich persönlich. Als regelmäßige Besucherin Tel Avivs erlebe ich, wie sehr der Konflikt beide Gesellschaften spaltet. In unserer Erinnerungskultur suchen wir noch immer den richtigen Weg zwischen historischer Verantwortung und aktueller Kritikfähigkeit. Merz› Worte markieren möglicherweise einen neuen Meilenstein auf diesem schwierigen Weg.