Die Tage werden länger, der Wahlkampf hitziger. Seit Friedrich Merz› jüngsten Äußerungen zur Arbeitszeit brodelt es in den Gewerkschaften. Der CDU-Chef hatte behauptet, mehr Arbeit sei nötig, um den Wohlstand zu sichern. Die IG Metall konterte prompt mit einer ungewöhnlichen Einladung: Merz solle sich doch selbst einmal «in drei Schichten ans Band stellen«.
Die Realität der Schichtarbeit kennen in Deutschland etwa 6,3 Millionen Menschen. Sie arbeiten, wenn andere schlafen, und schlafen, wenn andere leben. In der Automobilindustrie, wo das Fließband nie stillsteht, ist dieser Rhythmus besonders fordernd. «Wer die Belastung der Drei-Schicht-Arbeit nicht am eigenen Leib erfahren hat, sollte mit vorschnellen Urteilen vorsichtig sein», mahnt Christiane Benner, IG Metall-Vorsitzende.
Zwischen politischen Debatten und Werkhallen liegen oft Welten. Als Journalistin habe ich einmal eine Nachtschicht in einem Stahlwerk begleitet. Um drei Uhr morgens kämpfte ich mit der Müdigkeit, während die Arbeiter routiniert Stahlcoils bewegten. Einer sagte mir: «Nach zwanzig Jahren Schichtdienst tickt meine innere Uhr anders als die meiner Familie.»
Die Diskussion um Arbeitszeiten ist mehr als ein politisches Scharmützel. Sie berührt Lebensrealitäten, Gesundheit und soziale Teilhabe. Während in Talkshows über abstrakte Wirtschaftsmodelle diskutiert wird, stellen sich Millionen Deutsche Nacht für Nacht an ihre Maschinen. Vielleicht täte ein Perspektivwechsel allen Beteiligten gut.