Ein unerwartetes Klingeln an der Tür. Stefan Müller öffnet und begrüßt mich mit einem herzlichen Lächeln in seiner neuen Wohnung im MOSAIKhaus in Dortmund-Eving. «Willkommen in meinem Reich», sagt der 42-Jährige stolz und führt mich durch sein 60 Quadratmeter großes Apartment. Die hellen Räume sind liebevoll eingerichtet. Auf einem Regal stehen Familienfotos, daneben eine kleine Sammlung von Modellautos – Erinnerungen an sein früheres Leben.
Vor fünf Jahren änderte sich für Stefan alles. Ein schwerer Arbeitsunfall auf der Baustelle, auf der er als Vorarbeiter tätig war, führte zu einer Querschnittslähmung. Nach 18 Monaten in Kliniken und Reha-Einrichtungen stand er vor der Frage, wie sein Leben weitergehen sollte. «Zurück in meine alte Wohnung im dritten Stock ohne Aufzug – unmöglich. Zu meinen Eltern ziehen – mit über 40? Auch keine Option», erinnert sich Stefan.
Das MOSAIKhaus in Dortmund-Eving wurde für ihn zur neuen Chance. Die Wohnanlage, die im Frühjahr 2022 eröffnet wurde, bietet 24 barrierefreie Wohnungen für Menschen mit und ohne Behinderungen. Das Besondere: Die Bewohner leben selbstständig, können aber bei Bedarf auf Unterstützungsangebote zurückgreifen.
«Was mir hier am besten gefällt, ist die Balance zwischen Privatsphäre und Gemeinschaft», erklärt Stefan, während wir uns an seinen Küchentisch setzen. Seine Wohnung ist komplett auf seine Bedürfnisse zugeschnitten – von der unterfahrbaren Küchenzeile bis zum rollstuhlgerechten Bad. «Ich kann wieder selbst kochen, das habe ich früher geliebt und jetzt wiederentdeckt.»
Das Konzept des inklusiven Wohnens gewinnt in Dortmund zunehmend an Bedeutung. Laut Statistiken der Stadt leben hier rund 85.000 Menschen mit Behinderungen. Für viele von ihnen ist der Wohnungsmarkt eine große Herausforderung. Barrierefreie Wohnungen sind rar und oft teuer. Das MOSAIKhaus, ein Projekt der Dortmunder Lebenshilfe in Zusammenarbeit mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, will hier eine Lücke schließen.
«Inklusion bedeutet nicht nur Barrierefreiheit im baulichen Sinne», erklärt Projektleiterin Carola Weber. «Es geht um ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft.» Das spiegelt sich auch in den Gemeinschaftsräumen wider. Im Erdgeschoss gibt es einen großen Aufenthaltsraum mit Küche, wo regelmäßig gemeinsam gekocht wird. Daneben befindet sich ein kleines Café, das auch für die Nachbarschaft geöffnet ist.
«Am Anfang war ich skeptisch», gibt Stefan zu. «Ich dachte, das wird so eine Art Heim. Aber es ist ganz anders. Ich entscheide selbst, wann ich am Gemeinschaftsleben teilnehme und wann ich meine Ruhe haben möchte.»
Der Stadtteil Eving hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Früher von Bergbau geprägt, hat sich hier eine lebendige Gemeinschaft entwickelt. Das MOSAIKhaus liegt zentral, nur wenige Gehminuten vom Evinger Zentrum entfernt. «Die Infrastruktur ist perfekt», sagt Stefan. «Ich kann selbstständig einkaufen, zum Arzt oder ins Café fahren. Das gibt mir ein Stück Normalität zurück.»
Die Bewohner des MOSAIKhauses sind bunt gemischt – von jungen Erwachsenen bis zu Senioren, Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen und Familien ohne Behinderungen. «Diese Mischung macht das Besondere aus«, erklärt Sozialarbeiterin Maria Schmidt, die im Haus arbeitet. «Hier helfen alle einander. Der eine ist gut im Umgang mit Computern, der andere kann toll kochen, wieder andere haben ein offenes Ohr für Probleme.»
Stefan hat im Haus nicht nur eine Wohnung, sondern auch neue Freundschaften gefunden. Mit seinem Nachbarn Thomas, einem pensionierten Lehrer, spielt er regelmäßig Schach. Die 25-jährige Lisa aus dem ersten Stock hilft ihm bei Computerproblemen. Und für die 7-jährige Mia von gegenüber ist er «Onkel Stefan», der immer spannende Geschichten erzählt.
«Man denkt oft, Menschen mit Behinderungen brauchen immer Hilfe», sagt Stefan. «Aber ich kann auch viel geben. Vor meinem Unfall habe ich als Handwerker gearbeitet – dieses Wissen ist nicht weg. Letzte Woche habe ich Thomas gezeigt, wie man einen tropfenden Wasserhahn repariert.»
Die Nachfrage nach Plätzen im MOSAIKhaus ist groß. Die Warteliste ist lang. In Dortmund gibt es bereits Pläne für ähnliche Projekte in anderen Stadtteilen. «Der Bedarf ist eindeutig da», bestätigt Stadtrat Michael Becker. «Inklusive Wohnmodelle sind ein wichtiger Baustein für eine Stadt, die allen Bürgern gerecht werden will.»
Auch die Finanzierung solcher Projekte ist eine Herausforderung. Die Kosten für den Bau barrierefreier Wohnungen liegen etwa 15 Prozent höher als bei konventionellen Wohnungen. Das MOSAIKhaus wurde durch eine Mischung aus öffentlichen Fördermitteln, Stiftungsgeldern und privaten Spenden ermöglicht.
Die Mieten im MOSAIKhaus sind sozialverträglich gestaltet. Für seine 60-Quadratmeter-Wohnung zahlt Stefan 580 Euro warm. «Das kann ich mir mit meiner Erwerbsminderungsrente und dem Wohngeld leisten», sagt er. «Nicht billig, aber für eine barrierefreie Wohnung in dieser Lage und mit dieser Ausstattung angemessen.»
Stefan hat im MOSAIKhaus nicht nur eine neue Wohnung, sondern auch neuen Lebensmut gefunden. Zweimal pro Woche arbeitet er stundenweise in der Verwaltung einer sozialen Einrichtung. «Es tut gut, wieder gebraucht zu werden», sagt er. Und er engagiert sich für andere Menschen mit Behinderungen, gibt seine Erfahrungen weiter und berät Betroffene.
Wenn Stefan über seine Zukunft spricht, klingt er zuversichtlich. «Der Unfall hat mein Leben verändert, aber nicht beendet. Hier im MOSAIKhaus habe ich gelernt, dass es immer weitergeht – nur anders als geplant.»
Als ich mich von Stefan verabschiede, steht er bereits mit seinen Nachbarn im Gemeinschaftsgarten. Sie planen ein Grillfest für das kommende Wochenende. «Kommen Sie doch auch», ruft er mir nach. «Hier ist jeder willkommen – genau das macht unser MOSAIKhaus aus.»