In den stillen Momenten zwischen den Vorträgen sieht man es in ihren Augen – diese unerschütterliche Lebenskraft. Margot Friedländer, 102 Jahre alt und Holocaust-Überlebende, trägt ihre Geschichte durch die Welt wie ein kostbares, schweres Erbe. «Seid Menschen», mahnt sie bei ihren Begegnungen mit der jungen Generation. Diese drei Silben verdichten ihre Lebensweisheit nach unfassbarem Leid.
Ihre Geschichte beginnt im Berlin der 1920er Jahre und führt durch die dunkelsten Kapitel des 20. Jahrhunderts. Mit 21 Jahren musste sie untertauchen, während ihre Mutter und ihr Bruder nach Auschwitz deportiert wurden. «Versuche, dein Leben zu machen», waren die letzten Worte ihrer Mutter, überbracht durch einen Boten. Diese Worte trägt Margot bis heute bei sich – wie die Bernsteinkette, ihr einziges Erinnerungsstück an die Mutter.
Als ich Friedländer letztes Jahr bei einer Lesung in München erlebte, beeindruckte mich ihre Präzision beim Erinnern. Kein Detail scheint verblasst. Nach 15 Monaten im Versteck wurde sie 1944 verhaftet und nach Theresienstadt deportiert. Doch sie überlebte, emigrierte später in die USA. «Ich erzähle nicht, um anzuklagen», erklärt sie. «Ich erzähle, damit es nie wieder geschieht.»
Erst mit 88 Jahren kehrte Friedländer nach Berlin zurück – in die Stadt, die ihre Familie auslöschte. Nun widmet sie ihre verbleibende Lebenszeit dem Erinnern. Ihre Memoiren «Versuche, dein Leben zu machen» sind Teil des kulturellen Gedächtnisses geworden. In einer Zeit, in der Zeitzeugen des Holocaust immer weniger werden, wiegt jedes Wort Margot Friedländers doppelt schwer. Ihr Vermächtnis ist keine Anklage, sondern eine zeitlose Mahnung zur Menschlichkeit.