Der Mauerfall jährt sich in wenigen Monaten zum 35. Mal. Eine Generation später spüre ich bei meinen Recherchen noch immer die unsichtbaren Grenzen zwischen Ost und West. In Dresden erzählte mir eine Lehrerin: «Für meine Schüler ist die DDR ein fernes Kapitel im Geschichtsbuch. Trotzdem leben wir die Unterschiede täglich.»
Diese Unterschiede sind messbar. Während das durchschnittliche Vermögen westdeutscher Haushalte bei etwa 182.000 Euro liegt, besitzen ostdeutsche Haushalte im Schnitt nur 94.000 Euro. Das Lohnniveau hat sich zwar angeglichen, doch die Vermögenslücke bleibt hartnäckig.
Bei meinem Besuch in Eisenhüttenstadt spürte ich diese Kluft deutlich. «Wir haben nach der Wende bei null angefangen», erklärte mir Rentner Herbert, 78. «Unsere Kinder haben keine Immobilien geerbt wie viele im Westen.»
Doch nicht nur wirtschaftliche Faktoren trennen. Der Soziologe Dr. Thomas Krüger vom Institut für Demokratieforschung betont: «Kollektive Erfahrungen wie Arbeitslosigkeit und Abwanderung nach 1990 haben im Osten ein anderes Verhältnis zu Staat und Gesellschaft geprägt.»
Diese unterschiedlichen Lebensrealitäten zeigen sich heute in Wahlergebnissen und politischen Einstellungen. Bei meinem letzten Redaktionsbesuch in Leipzig diskutierten wir die Daten der Deutschen Welle, wonach 65% der Ostdeutschen unzufrieden mit der Demokratie sind.
Nach 35 Jahren deutscher Einheit stellt sich mir die Frage: Werden wir jemals wirklich zusammenwachsen? Vielleicht liegt die Antwort weniger im Angleichen als im gegenseitigen Verstehen unserer unterschiedlichen Geschichten.