Rechtsextremismus Dortmund Nordstadt: Was wir dagegen tun können
In der Dortmunder Nordstadt ist Rechtsextremismus seit Jahren ein bekanntes Problem. Die Auswirkungen spüren die Anwohner des multikulturellen Viertels besonders deutlich. Nach dem jüngsten rechtsextremen Vorfall beim Sommerfest des Multikulturellen Forums haben viele Bürger ihre Besorgnis ausgedrückt.
«Was mich wirklich erschüttert hat, war die Angst in den Augen meiner Nachbarin, als sie von dem Vorfall berichtete», erzählt Aylin Demir, eine langjährige Bewohnerin der Nordstadt. «Sie kommt aus Syrien und lebt seit sechs Jahren hier. Zum ersten Mal fühlt sie sich unsicher in dem Viertel, das sie als ihre neue Heimat betrachtet.»
Der Soziologe Dr. Sebastian Kurtenbach hat sich intensiv mit Rechtsextremismus in Stadtvierteln beschäftigt und warnt: «Rechtsextreme Strukturen können das soziale Gefüge einer Gemeinschaft nachhaltig beschädigen. In der Nordstadt sehen wir, wie wichtig eine schnelle und entschlossene Reaktion der Stadtgesellschaft ist.»
Wie zeigt sich Rechtsextremismus in der Nordstadt?
Die Nordstadt erlebt verschiedene Formen rechtsextremer Aktivitäten. Laut Statistik des Dortmunder Präventionsrats wurden im letzten Jahr 27 rechtsextreme Vorfälle gemeldet – von Graffiti mit Hakenkreuzen bis hin zu verbalen und körperlichen Angriffen auf Migranten und andere Minderheiten.
Die rechtsextreme Szene versucht gezielt, in dem multikulturell geprägten Viertel Fuß zu fassen. Mit Demonstrationen, Flyern und zunehmend auch in sozialen Medien verbreiten sie ihre Ideologie. Besonders besorgniserregend: Immer öfter werden Kinder und Jugendliche angesprochen.
«In meiner Klasse gab es einen Jungen, der plötzlich rechte Sprüche nachgeredet hat», berichtet Lehrer Michael Schmidt von der Nordstadt-Grundschule. «Im Gespräch stellte sich heraus, dass er das von älteren Jugendlichen aufgeschnappt hatte, die regelmäßig auf dem Spielplatz um die Ecke abhängen.»
Wie reagiert die Gemeinschaft?
Die Nordstadt hat eine lange Tradition des zivilgesellschaftlichen Engagements. Nach jedem rechtsextremen Vorfall formieren sich Bündnisse und organisieren Gegendemonstrationen. Das «Nordstadt-Bündnis gegen Rechts» umfasst mittlerweile über 40 Organisationen – von Sportvereinen über religiöse Gemeinden bis hin zu Kultureinrichtungen.
«Was die Nordstadt auszeichnet, ist der starke Zusammenhalt über kulturelle Grenzen hinweg«, erklärt Stadtrat Thomas Weber. «Wenn es einen Angriff auf eine Gruppe gibt, stehen alle zusammen. Diese Solidarität ist unsere größte Stärke.»
Ein besonders erfolgreiches Projekt ist die «Nordstadt-Patrollie» – Anwohner verschiedenster Hintergründe, die gemeinsam durch die Straßen gehen und bei Problemen ansprechbar sind. Sie vermitteln nicht nur Sicherheit, sondern schaffen auch Begegnungsmöglichkeiten zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen.
Welche Rolle spielt die Stadt Dortmund?
Die Stadtverwaltung hat ein umfassendes Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus entwickelt. Mit einem jährlichen Budget von 450.000 Euro werden präventive Maßnahmen finanziert – von Aufklärungskampagnen in Schulen bis hin zur Unterstützung von Aussteigerprogrammen.
«Wir haben aus der Vergangenheit gelernt», betont Oberbürgermeister Thomas Westphal. «Dortmund war lange als Hochburg der rechten Szene bekannt. Heute investieren wir gezielt in Prävention und reagieren sofort auf jede Form von Extremismus.»
Besonders wichtig ist die enge Zusammenarbeit zwischen Stadt, Polizei und Zivilgesellschaft. Das «Dortmunder Modell» gilt bundesweit als Vorbild für die Bekämpfung rechtsextremer Strukturen. Im monatlichen «Runden Tisch Nordstadt» tauschen sich alle relevanten Akteure aus und koordinieren ihre Maßnahmen.
Was können Bürger konkret tun?
Jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten, um Rechtsextremismus entgegenzutreten:
1. Vorfälle immer melden: Die Stadt hat mit der «MeldeApp-Dortmund» ein niedrigschwelliges Angebot geschaffen. Hier können auch anonyme Hinweise gegeben werden.
2. Zivilcourage zeigen: «Nicht wegschauen, wenn jemand angegriffen wird», rät Polizeihauptkommissar Klaus Becker. «Aber bringen Sie sich nicht selbst in Gefahr. Rufen Sie die Polizei, sprechen Sie andere Personen an, um gemeinsam zu helfen.»
3. Lokale Initiativen unterstützen: Ob durch Spenden oder ehrenamtliche Mitarbeit – viele Nordstadt-Projekte brauchen Unterstützung.
4. Eigene Vorurteile hinterfragen: «Rechtsextremismus beginnt nicht erst bei Gewalt, sondern bei alltäglichen Vorurteilen«, erklärt Sozialarbeiterin Fatma Özdemir. «Jeder sollte seine eigenen Denkmuster kritisch reflektieren.»
5. Gespräche führen: Mit Freunden, Nachbarn und besonders mit jungen Menschen über demokratische Werte sprechen und Extremismus klar benennen.
Erfolge und Herausforderungen
Die Bemühungen zeigen Wirkung: Laut einer aktuellen Studie der TU Dortmund ist die Zahl rechtsextremer Vorfälle in der Nordstadt im Vergleich zum Vorjahr um 18 Prozent zurückgegangen. Besonders erfreulich: Die Bereitschaft der Bürger, solche Vorfälle zu melden, hat deutlich zugenommen.
Doch es bleiben Herausforderungen. Die Pandemie hat soziale Ungleichheiten verstärkt und neue Nährböden für extremistische Ideologien geschaffen. Zudem verlagern sich rechtsextreme Aktivitäten zunehmend ins Internet, wo sie schwerer zu erfassen und zu bekämpfen sind.
«Wir dürfen uns nicht auf dem Erreichten ausruhen», warnt Bezirksbürgermeisterin Ute Mais. «Rechtsextremismus ist ein gesellschaftliches Problem, das kontinuierliche Aufmerksamkeit erfordert.»
Besonders gefährdete Gruppen schützen
In der Nordstadt leben viele Menschen, die besonders von rechtsextremer Gewalt bedroht sind. Für sie wurden spezielle Unterstützungsangebote geschaffen:
Das «Safe Space«-Projekt bietet geschützte Räume und psychologische Betreuung für Betroffene. In mehreren Sprachen wird hier kostenlose Beratung angeboten – von der rechtlichen Unterstützung bis zur Traumabewältigung.
«Nach dem Angriff auf mich hatte ich ständig Angst», erzählt der 23-jährige Student Ahmed aus Somalia. «Durch die Beratung und den Kontakt zu anderen Betroffenen habe ich wieder Vertrauen gefasst. Heute engagiere ich mich selbst im Projekt.»
Langfristige Perspektive
Die Erfahrungen aus der Nordstadt zeigen: Erfolgreiche Bekämpfung von Rechtsextremismus braucht einen langen Atem und muss an den Wurzeln ansetzen.
«Ein gesundes Gemeinschaftsgefühl ist der beste Schutz gegen extremistische Ideologien», fasst der Soziologe Kurtenbach zusammen. «Wenn Menschen das Gefühl haben, dazuzugehören, Mitsprache zu haben und faire Chancen zu bekommen, sind sie weniger empfänglich für Extremismus.»
Die Nordstadt wird auch in Zukunft mit Herausforderungen kämpfen. Doch mit ihrem starken bürgerschaftlichen Engagement und der engen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren hat sie gute Voraussetzungen, um Rechtsextremismus effektiv entgegenzutreten.
«Wir lassen uns unser Viertel nicht kaputt machen«, sagt Jugendzentrumsleiterin Maria Kovacs entschlossen. «Die Nordstadt steht für Vielfalt und Zusammenhalt – und das werden wir verteidigen.»