Es war eine Hinrichtung mitten in Berlin, die viele Hauptstädter noch heute nicht vergessen haben. Vor zehn Jahren erschoss ein Unbekannter den Hell’s Angels-Rocker Timur Akbulut am Ufer der Spree. Der Fall ist bis heute ungeklärt, der Täter weiterhin auf freiem Fuß. Jetzt bricht ein pensionierter LKA-Ermittler sein Schweigen und gewährt überraschende Einblicke in die damaligen Ermittlungen.
«Der Mörder lebt wahrscheinlich noch immer unter uns», sagt Michael König, ehemaliger Kriminalhauptkommissar, der die Ermittlungen damals leitete. «Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an diesen Fall denke. Er verfolgt mich bis in den Ruhestand.»
Die Tat ereignete sich am 5. Mai 2014 gegen 23 Uhr an der Oberbaumbrücke in Friedrichshain. Akbulut, 32 Jahre alt und hochrangiges Mitglied der Hell’s Angels, wurde mit mehreren Schüssen aus nächster Nähe getötet. Die Tat trug alle Merkmale einer Hinrichtung.
«Was diesen Fall besonders schwierig machte, war die Mauer des Schweigens», erklärt König. «Niemand aus dem Rockermilieu wollte reden, selbst Zeugen, die wir identifizieren konnten, bekamen plötzlich Erinnerungslücken.»
Die Ermittler stießen auf ein Netzwerk aus Loyalität und Angst. Wer im Rockermilieu mit der Polizei zusammenarbeitet, riskiert sein Leben. Diese ungeschriebene Regel erschwerte die Aufklärung enorm.
König enthüllt jetzt, dass die Ermittler damals drei konkrete Verdächtige im Visier hatten. «Wir wussten, wer es gewesen sein könnte, aber wir konnten es nicht beweisen. Die Staatsanwaltschaft brauchte handfeste Beweise, und die konnten wir nicht liefern.»
Der Fall stand im Zusammenhang mit dem damals tobenden «Rockerkrieg» zwischen den Hell’s Angels und den Bandidos. Revierstreitigkeiten, Drogengeschäfte und persönliche Fehden führten zu einer Gewaltspirale in der Hauptstadt.
«Akbulut war kein unbeschriebenes Blatt», gibt König zu bedenken. «Er hatte Feinde, viele Feinde. Aber niemand hat eine Hinrichtung verdient.»
Besonders frustrierend für die Ermittler: Sie hatten Hinweise auf den möglichen Aufenthaltsort der Tatwaffe, konnten diese aber trotz intensiver Suche nicht finden. «Wir haben buchstäblich Teile der Spree abgesucht, weil wir vermuteten, dass die Waffe dort entsorgt wurde.»
Die Berliner Polizei hat den Fall offiziell noch nicht zu den Akten gelegt. Formell laufen die Ermittlungen weiter, praktisch aber ruhen sie, bis neue Hinweise auftauchen. Für König ist das unbefriedigend.
«In solchen Fällen braucht es oft nur einen kleinen Anstoß. Jemand, der damals geschwiegen hat, trennt sich von seiner Frau oder seinem Freund und packt plötzlich aus. Oder jemand liegt im Sterben und will sein Gewissen erleichtern.»
Die Berliner Rockerwelt hat sich seit 2014 verändert. Viele Strukturen wurden durch polizeiliche Maßnahmen zerschlagen, andere haben sich angepasst. Die Hell’s Angels in Berlin sind heute weniger sichtbar, aber keineswegs verschwunden.
König hofft, dass sein Sprechen über den Fall neue Bewegung in die Ermittlungen bringen könnte. «Vielleicht liest jemand diesen Artikel, der etwas weiß. Die Angehörigen von Akbulut verdienen Antworten, egal was er getan haben mag.»
Die Berliner Staatsanwaltschaft wollte sich auf Anfrage nicht zu Königs Aussagen äußern. Ein Sprecher bestätigte lediglich, dass der Mordfall weiterhin ungelöst sei und die Akte formell offen bleibe.
Für Experten ist der Akbulut-Mord ein typisches Beispiel für die Schwierigkeiten bei Ermittlungen im Rockermilieu. Die Kombination aus Schweigekodex, Einschüchterung von Zeugen und professioneller Tatausführung macht solche Fälle besonders herausfordernd.
«Morde im Rockermilieu werden oft akribisch geplant und von erfahrenen Tätern ausgeführt», erklärt Kriminologe Dr. Stefan Behrendt von der Humboldt-Universität. «Die Aufklärungsquote liegt deutlich unter dem Durchschnitt bei Tötungsdelikten.»
Der Fall Akbulut reiht sich ein in eine Serie von ungeklärten Rockermorden in Deutschland. In Berlin allein gab es in den vergangenen 15 Jahren mindestens sechs Tötungsdelikte mit Bezug zum Rockermilieu, die bis heute nicht aufgeklärt wurden.
Michael König bleibt trotzdem optimistisch. «Kein Mörder kann sich jemals sicher fühlen. Die Akte ist offen, die Verjährungsfrist bei Mord gibt es nicht. Wir kriegen dich, vielleicht nicht heute oder morgen, aber irgendwann.»