Die Morgensonne fällt durch die großen Glasfronten des Stuttgarter Hauptbahnhofs, während Markus Schneider seinen Reinigungswagen bereitstellt. Es ist 6:30 Uhr, doch für den 43-jährigen Sanitärreiniger hat der Arbeitstag bereits vor einer Stunde begonnen. Seine Schicht gehört zu den anspruchsvollsten im gesamten Reinigungssektor – und das aus gutem Grund.
«Die meisten Menschen sehen uns nur kurz mit dem Wischmopp oder wenn wir die Mülleimer leeren», sagt Schneider mit einem verhaltenen Lächeln. «Was hinter den Toilettentüren auf uns wartet, bleibt zum Glück oft verborgen.»
An diesem normalen Dienstagmorgen begleite ich Schneider bei seiner Arbeit, um einen Einblick in einen Beruf zu bekommen, den viele lieber nicht genauer kennenlernen möchten.
Der Tag beginnt mit Chaos
Schon bei der ersten Kontrolle der Herrentoilette im Untergeschoss wird klar, warum der Job so herausfordernd ist. Eine verstopfte Toilette hat zu einer kleinen Überschwemmung geführt, Papierhandtücher kleben am Boden, und in einer Ecke liegt Erbrochenem. Der durchdringende Geruch lässt sich kaum beschreiben.
«Das ist noch harmlos», erklärt Schneider, während er routiniert Handschuhe überzieht und seinen Desinfektionsmittelspender vorbereitet. «Nach Wochenenden oder Großveranstaltungen sieht es hier manchmal aus, als hätte jemand mit Absicht versucht, alles zu verwüsten.»
Die Sanitäranlagen des Stuttgarter Hauptbahnhofs zählen zu den meistgenutzten der Stadt. Täglich passieren über 250.000 Reisende den Bahnhof, viele nutzen die öffentlichen Toiletten. Die Reinigungskräfte müssen die Anlagen alle zwei Stunden kontrollieren und bei Bedarf säubern – doch bei diesem Andrang reicht das kaum aus.
Zwischen Kot, Blut und Spritzen
Was Sanitärreiniger wie Schneider täglich erleben, geht weit über normale Verschmutzungen hinaus. «Wir finden hier alles: Exkremente an Wänden, blutige Papiertücher in den Waschbecken, manchmal sogar benutzte Spritzen», berichtet er sachlich, während er einen Spiegel von Zahnpastaspritzern befreit.
Die Begegnung mit biologischen Gefahren gehört zum Alltag. Jeder Reiniger hat ein spezielles Training absolviert, um mit potenziell infektiösem Material umzugehen. Das Team trägt Schutzkleidung, spezielle Handschuhe und arbeitet mit professionellen Desinfektionsmitteln.
«Vor zehn Jahren hat mich das noch geschockt, heute ist es Routine», sagt Schneider. «Aber man darf nie unvorsichtig werden. Eine kleine Unachtsamkeit kann gesundheitliche Folgen haben.»
Menschen hinter der Uniform
Die Reinigungsfirma, die für die Deutschen Bahn die Sanitäranlagen betreut, beschäftigt in Stuttgart ein Team von zwölf Personen, die sich in Schichten abwechseln. Viele der Mitarbeiter haben einen Migrationshintergrund, wie auch drei von Schneiders engsten Kollegen, die aus Syrien, Kroatien und der Türkei stammen.
«Wir sind ein gutes Team, das hilft bei der Arbeit enorm», betont Schneider. «Manche Leute sehen durch uns hindurch oder behandeln uns von oben herab. Aber es gibt auch jene, die sich bedanken oder ein freundliches Wort übrig haben.»
Während er spricht, füllt er Seifenspender auf und wechselt Toilettenpapierrollen aus. Seine Bewegungen sind effizient, jeder Handgriff sitzt. Nach Jahren im Beruf weiß er genau, wie er seine Kräfte einteilen muss, um die körperlich anstrengende Arbeit über eine achtstündige Schicht durchzuhalten.
Zwischen Dankbarkeit und Vandalismus
Der Kontrast zwischen respektvollem und rücksichtslosem Verhalten könnte nicht größer sein. Während ein älterer Herr sich höflich bedankt, als Schneider ihm die Tür aufhält, entdeckt der Reiniger nur Minuten später eine frisch beschmierte Kabinentür.
«Die Schmierereien sind fast jeden Tag neu. Wir entfernen sie, am nächsten Tag sind wieder welche da», erklärt er resigniert. Die Deutsche Bahn investiert jährlich erhebliche Summen in die Beseitigung von Vandalismus – Geld, das an anderer Stelle fehlt.
Besonders problematisch sind die Abendstunden und Wochenenden, wenn Alkohol im Spiel ist. «Manche Leute vergessen dann jede Hemmung und jeden Anstand», berichtet Schneider. Für die Spätschicht bedeutet das oft Extremreinigungen unter Zeitdruck.
Gesellschaftlicher Spiegel
Die Sanitäranlagen des Hauptbahnhofs sind in gewisser Weise ein Spiegel der Gesellschaft. Hier treffen alle Schichten aufeinander: Geschäftsreisende, Touristen, Obdachlose, Süchtige.
«Für manche ist die Bahnhofstoilette ein Zufluchtsort», erklärt Schneider. «Wir haben Stammgäste, die hier ihre Morgentoilette erledigen oder sich kurz aufwärmen. Solange sie keinen Schmutz hinterlassen, ist das für uns in Ordnung.»
Problematischer sind jene, die die Anlagen für Drogenkonsum nutzen. Die Reinigungskräfte finden regelmäßig Spritzen und anderes Zubehör. In solchen Fällen müssen sie besonders vorsichtig vorgehen und spezielle Behälter für die Entsorgung verwenden.
Unsichtbare Helden des Alltags
Nach fast vier Stunden Begleitung wird deutlich: Sanitärreiniger wie Markus Schneider leisten einen essenziellen Dienst für die Gesellschaft, der oft übersehen wird. Sie sorgen nicht nur für Sauberkeit und Hygiene, sondern tragen auch zur öffentlichen Gesundheit bei.
«Manchmal frage ich mich, ob die Leute wissen, wie viel Arbeit hinter sauberen Toiletten steckt», sagt Schneider, während er zum Ende seiner Schicht den Boden wischt. «Wir sind die ersten, die kommen, und die letzten, die gehen – aber die wenigsten nehmen uns wahr.»
Zum Abschluss seiner Schicht kontrolliert Schneider noch einmal alle Anlagen. Alles glänzt, die Spiegel sind streifenfrei, die Waschbecken blitzen. Doch er weiß: In wenigen Stunden wird seine Arbeit kaum noch zu sehen sein.
«Man braucht eine gewisse Einstellung für diesen Job», sagt er beim Verabschieden. «Man muss akzeptieren, dass die eigene Arbeit immer wieder zunichte gemacht wird. Aber am Ende des Tages weiß ich: Ich habe etwas Wichtiges getan.»
Wenn wir das nächste Mal eine öffentliche Toilette benutzen, lohnt es sich, kurz an die Menschen zu denken, die dafür sorgen, dass wir sie in einem anständigen Zustand vorfinden – die unsichtbaren Helden des Alltags wie Markus Schneider.