Schülerstreik gegen die Wehrpflicht: Hamburger Schüler gehen auf die Straße
An einem grauen Mittwochmorgen haben sich rund 500 Schülerinnen und Schüler aus ganz Hamburg vor dem Rathaus versammelt. Mit selbstgemalten Plakaten und lauten Sprechchören protestieren sie gegen die mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht. «Bildung statt Waffen» und «Wir wollen nicht in den Krieg» steht auf ihren Schildern.
Die Demonstration wurde über soziale Medien organisiert, nachdem Verteidigungsminister Boris Pistorius in den vergangenen Wochen mehrfach eine Rückkehr zur Wehrpflicht ins Gespräch gebracht hatte. Der Politiker hatte verschiedene Modelle vorgeschlagen, darunter das schwedische System, bei dem alle jungen Menschen erfasst, aber nur ein Teil zum Dienst verpflichtet wird.
«Wir sind die Generation, die direkt betroffen wäre», erklärt Lena Schmidt, eine 17-jährige Schülerin vom Gymnasium Ohlstedt. «Über unsere Köpfe hinweg wird darüber diskutiert, ob wir bald zum Militär müssen. Dabei werden wir nicht einmal gefragt.»
Die Organisatoren des Streiks haben einen klaren Standpunkt: Sie sehen in der Diskussion um die Wehrpflicht eine Militarisierung der Gesellschaft, die sie ablehnen. «Es wird immer mehr über Aufrüstung gesprochen und immer weniger über Friedensinitiativen», sagt Moritz Bauer vom Schülerrat Altona.
Zwischen Schulpflicht und Demonstrationsrecht
Die Schulbehörde Hamburg steht dem Streik kritisch gegenüber. «Die Schulpflicht gilt auch bei politischen Themen, die Jugendliche bewegen», erklärt Behördensprecher Peter Albrecht. Schülerinnen und Schüler, die am Unterricht nicht teilnehmen, müssen mit Konsequenzen rechnen – von Einträgen ins Klassenbuch bis hin zu unentschuldigten Fehlzeiten im Zeugnis.
Dennoch zeigen einige Lehrkräfte Verständnis. «Die jungen Menschen setzen sich mit Politik auseinander und werden aktiv. Das ist eigentlich genau das, was wir im Politikunterricht fördern wollen», sagt Klassenlehrerin Sabine Wagner.
Die Debatte um die Wehrpflicht
Seit dem Aussetzen der Wehrpflicht im Jahr 2011 hat die Bundeswehr mit Personalengpässen zu kämpfen. Derzeit dienen etwa 181.000 Soldatinnen und Soldaten – deutlich weniger als die angestrebten 203.000. Verteidigungsminister Pistorius argumentiert, dass angesichts der veränderten Sicherheitslage in Europa eine Stärkung der Truppe notwendig sei.
Neben dem schwedischen Modell wird auch über eine allgemeine Dienstpflicht diskutiert, die sowohl militärische als auch soziale Dienste umfassen könnte. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass etwa 52 Prozent der Deutschen eine Wiedereinführung der Wehrpflicht befürworten würden.
Junge Stimmen werden kaum gehört
Die demonstrierenden Jugendlichen bemängeln vor allem eines: Sie fühlen sich in der Debatte nicht repräsentiert. «In den Talkshows sitzen immer nur ältere Männer, die selbst nie betroffen sein werden», kritisiert der 18-jährige Tim Hoffmann vom Gymnasium Blankenese.
Eine konkrete Forderung der Demonstrierenden ist, dass bei allen Entscheidungen zur Wehrpflicht die Stimmen der jungen Generation maßgeblich einbezogen werden müssen. «Wenn über unsere Zukunft entschieden wird, wollen wir mitreden», fasst Organisatorin Sophie Klein die Stimmung zusammen.
Zwischen Pazifismus und Verantwortung
Die Diskussion unter den Schülerinnen und Schülern ist durchaus differenziert. Nicht alle lehnen jeden militärischen Dienst kategorisch ab. «Es geht uns nicht darum, keine Verantwortung übernehmen zu wollen», erklärt der 19-jährige Max Weber. «Aber wir wollen selbst entscheiden können, wie wir unseren Beitrag zur Gesellschaft leisten.»
Einige der Demonstrierenden können sich vorstellen, einen sozialen Dienst zu leisten, lehnen aber den Dienst an der Waffe ab. Andere wiederum sehen in der Diskussion um die Wehrpflicht eine Ablenkung von wichtigeren Themen wie Bildung und Klimaschutz.
Wie geht es weiter?
Nach der Kundgebung vor dem Rathaus zogen die Schülerinnen und Schüler durch die Hamburger Innenstadt. Die Polizei sprach von einer friedlichen Demonstration. Weitere Protestaktionen sind bereits in Planung, unter anderem ein «Jugendgipfel zur Wehrpflicht», bei dem Vertreter aus Politik und Militär mit jungen Menschen diskutieren sollen.
«Wir werden nicht aufhören, bis wir gehört werden», verspricht Organisatorin Sophie Klein zum Abschluss der Demonstration. «Die Entscheidung über die Wehrpflicht betrifft unsere Zukunft – und wir lassen nicht zu, dass andere darüber bestimmen, ohne uns einzubeziehen.»
Während die Politik weiter über verschiedene Modelle der Wehrpflicht diskutiert, haben die Hamburger Schülerinnen und Schüler ein klares Signal gesetzt: Die junge Generation will bei diesem Thema mitreden und mitentscheiden.