Der Wind um die SPD wird rauer. Auf den Straßen Berlins spüre ich förmlich die angespannte Stimmung. Nach dem Europawahl-Debakel mit nur 13,9 Prozent müssen die Sozialdemokraten Klartext reden. Beim heute beginnenden zweitägigen Bundesparteitag steht die schonungslose Analyse im Mittelpunkt.
Die Genossinnen und Genossen wirken nachdenklich. Ihr historisch schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl seit 1949 sitzt tief. «Wir müssen ehrlich zu uns selbst sein und verstehen, warum uns die Menschen nicht mehr vertrauen», erklärte Parteichefin Saskia Esken gestern im Vorfeld. Die Partei hat erkennbar Mühe, ihre Erfolge in der Ampel-Koalition sichtbar zu machen. Dabei wurden unter SPD-Führung der Mindestlohn erhöht und das Bürgergeld eingeführt. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem langjährigen SPD-Mitglied aus Mainz: «Wir verlieren uns zu oft in Details, statt unsere Grundwerte klar zu kommunizieren.» In den Fluren des Parteitags ist die Sehnsucht nach klaren Positionen spürbar.
In den kommenden Monaten steht die SPD vor entscheidenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Die heutige Aussprache wird zeigen, ob die Partei aus ihren Fehlern lernen kann. Vielleicht liegt gerade in der Krise die Chance zur Erneuerung – wie so oft in der langen Geschichte der ältesten demokratischen Partei Deutschlands.