Im Berliner Stadtteil Charlottenburg kämpft Jessica M. seit über zwei Jahren mit den Folgen einer gescheiterten Beziehung. Was als normaler Trennungsschmerz begann, entwickelte sich zu einem Albtraum aus Drohungen, unerwünschten Kontaktversuchen und ständiger Angst. Obwohl ein Gericht ihren Ex-Partner bereits wegen Stalkings verurteilt hat, fühlt sich die 34-jährige Grafikdesignerin weiterhin schutzlos.
«Er wartet vor meiner Wohnung, schickt mir täglich Nachrichten von wechselnden Nummern und hat sogar Freunde angesprochen, um an Informationen über mich zu kommen», berichtet Jessica mit zitternder Stimme. «Das Urteil hat ihn nicht gestoppt. Ich fühle mich wie eine Gefangene in meinem eigenen Leben.»
Nach Angaben der Berliner Beratungsstelle Stop-Stalking sind in der Hauptstadt jährlich etwa 3.000 Menschen von schweren Stalking-Fällen betroffen. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. Statistiken des Landeskriminalamts zeigen, dass nur etwa 40 Prozent der Fälle zur Anzeige gebracht werden. Bei Verurteilungen kommt es häufig zu Bewährungsstrafen, die Täter nicht immer abschrecken.
Der Fall von Jessica zeigt die Lücken im Opferschutzsystem. Trotz eines rechtskräftigen Urteils und einer Bewährungsstrafe für ihren Ex-Partner gehen die Belästigungen weiter. Die zuständigen Behörden verweisen oft aufeinander, während Betroffene zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Beratungsstellen pendeln.
Christiane Weber von der Berliner Opferschutzorganisation «Weißer Ring» kennt solche Fälle zur Genüge. «Das Problem ist, dass viele Stalking-Opfer in einer Beweisnotlage stecken. Wenn der Täter geschickt vorgeht und etwa von fremden Nummern oder anonymen Accounts schreibt, ist es schwer, neue Verstöße nachzuweisen», erklärt Weber. Sie empfiehlt Betroffenen, konsequent Tagebuch zu führen und alle Vorfälle zu dokumentieren.
Die Berliner Polizei hat in den letzten Jahren zwar spezialisierte Einheiten für häusliche Gewalt und Stalking aufgebaut, doch die Ressourcen sind begrenzt. «Wir nehmen jede Anzeige ernst», betont Polizeisprecher Martin Halweg. «Aber wir können keine Rund-um-die-Uhr-Bewachung leisten. Die Betroffenen sollten alle Verstöße sofort melden und bei akuter Gefahr immer den Notruf wählen.»
Jessica hat auf eigene Kosten Kameras an ihrer Wohnungstür installiert und ihre Telefonnummer mehrfach gewechselt. Freunde begleiten sie auf dem Heimweg. Sie erwägt nun sogar einen Umzug in eine andere Stadt, obwohl sie damit ihren Job und ihr soziales Umfeld aufgeben müsste.
Das novellierte Stalking-Gesetz von 2021 sollte eigentlich die Strafverfolgung erleichtern und den Schutz verbessern. Es ermöglicht nun auch die Verfolgung von Cyberstalking und senkt die Hürden für ein gerichtliches Einschreiten. Doch in der Praxis zeigen sich weiterhin Probleme bei der Umsetzung, wie Jessicas Fall belegt.
Rechtsanwältin Katja Müller, die auf Opferschutz spezialisiert ist, sieht strukturelle Probleme: «Die Gesetze sind inzwischen besser geworden, aber es hapert an der praktischen Durchsetzung. Wenn ein Täter gegen Auflagen verstößt, dauert es oft Monate, bis Konsequenzen folgen.» Sie fordert einen behördenübergreifenden Ansatz, bei dem Polizei, Justiz und Beratungsstellen enger zusammenarbeiten.
In Berlin gibt es mittlerweile das «Anti-Stalking-Projekt», das Betroffenen psychologische Unterstützung bietet und sie durch das Justizsystem begleitet. Auch Täterarbeit wird dort geleistet, um Wiederholungstaten zu verhindern.
Jessica hofft auf mehr Unterstützung durch die Behörden. «Ich möchte nicht warten, bis etwas Schlimmeres passiert. Ich will einfach nur mein Leben zurück», sagt sie entschlossen. Ihre Geschichte soll anderen Betroffenen Mut machen, sich Hilfe zu holen und nicht aufzugeben.
Experten raten Stalking-Opfern, frühzeitig professionelle Beratung zu suchen und alle Belästigungen zu dokumentieren. In akuten Situationen sollte immer die Polizei verständigt werden. Beratungsstellen wie Stop-Stalking oder der Weiße Ring bieten kostenlose Hilfe an und können auch bei rechtlichen Schritten unterstützen.
Der Fall von Jessica macht deutlich, dass der Kampf gegen Stalking nicht mit einem Gerichtsurteil endet. Es braucht eine gesellschaftliche Anstrengung, um Betroffenen wirksamen Schutz zu bieten und Täter konsequent zur Verantwortung zu ziehen.