Die Verzögerungen beim Bauprojekt Stuttgart 21 sollen gründlich untersucht werden. Deutsche Bahn-Chefin Sigrid Palla hat am Mittwoch eine umfassende Aufklärung der neuerlichen Verschiebungen angekündigt. Das Milliardenprojekt wird statt Ende 2025 nun erst im Jahr 2026 in Betrieb gehen – die fünfte Verzögerung seit Baubeginn im Jahr 2010.
«Wir müssen verstehen, wie es zu diesen wiederholten Terminverschiebungen kommen konnte», erklärte Palla bei einer Pressekonferenz in Stuttgart. Sie betonte, dass die Untersuchung nicht nur technische Probleme, sondern auch Managementfehler und Kommunikationsprobleme aufdecken soll.
Oberbürgermeister Frank Nopper zeigte sich enttäuscht über die neuerliche Verzögerung. «Die Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger leiden seit Jahren unter der Großbaustelle. Jedes weitere Jahr bedeutet zusätzliche Belastungen für die Innenstadt und den lokalen Einzelhandel», sagte er.
Die Kosten für das Bahnprojekt sind mittlerweile von ursprünglich geplanten 4,5 Milliarden auf 11 Milliarden Euro gestiegen. Experten befürchten, dass mit der neuen Verzögerung weitere Kostensteigerungen verbunden sein könnten. Lokale Wirtschaftsverbände schätzen den Schaden für die Stuttgarter Innenstadt auf rund 50 Millionen Euro pro Jahr.
Im Fokus der Untersuchung stehen besonders die Probleme beim Tunnelbau und bei der Digitalisierung der Signalanlagen. «Wir haben beim Tunnelbau im Kernerviertel auf unerwartete geologische Formationen gestoßen, die zusätzliche Sicherungsmaßnahmen erfordern», erläuterte Bahnprojektleiter Olaf Drescher.
Die «Initiative Bahnhalt» um den Protestsprecher Michael Werner, die seit Jahren gegen das Projekt kämpft, sieht sich durch die neuen Entwicklungen bestätigt. «Wir haben immer gesagt, dass Termine und Kostenrahmen unrealistisch sind. Diese erneute Verzögerung zeigt, dass das gesamte Projekt grundlegend überdacht werden sollte», so Werner.
Die angekündigte Untersuchung soll von einem externen Expertenteam durchgeführt werden und bis Herbst 2024 Ergebnisse liefern. Neben technischen Faktoren wird auch die Projektsteuerung kritisch analysiert werden. Die Experten sollen zudem Empfehlungen erarbeiten, wie künftige Großprojekte besser geplant und umgesetzt werden können.
Verkehrsministerin Michaela Lenz forderte vollständige Transparenz: «Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, warum dieses Projekt immer wieder ins Stocken gerät. Die Untersuchung muss schonungslos aufklären, wo die Fehler liegen.»
Für die Pendler bedeutet die Verzögerung, dass sie weiterhin mit Einschränkungen im Bahnverkehr rechnen müssen. «Der aktuelle Bahnhof wird bis zur Fertigstellung von Stuttgart 21 an seine Kapazitätsgrenzen stoßen, besonders zu Stoßzeiten», warnte der Fahrgastverband Pro Bahn.
Die Handelskammer Stuttgart hat die Bahn aufgefordert, betroffene Geschäfte in der Innenstadt zu entschädigen. Vorsitzender Klaus Hoffmeister erklärte: «Viele Einzelhändler haben ihre Geschäftsplanung auf den angekündigten Fertigstellungstermin ausgerichtet. Die erneute Verzögerung bedeutet für sie erhebliche Umsatzeinbußen.»
Trotz aller Kritik bleibt die Deutsche Bahn bei ihrer Überzeugung, dass Stuttgart 21 ein zukunftsweisendes Projekt ist. «Der neue Durchgangsbahnhof wird die Kapazität verdoppeln und Stuttgart optimal ans europäische Schnellbahnnetz anbinden. Das rechtfertigt die Investitionen und auch die Geduld, die wir den Stuttgartern abverlangen müssen», betonte Palla.
Die Untersuchungskommission wird ihre Arbeit noch im Mai aufnehmen. Ihre Ergebnisse sollen nicht nur für Stuttgart 21, sondern auch für andere Großbauprojekte der Bahn wie die Sanierung der Riedbahn und den Ausbau des Knotens Hamburg wertvolle Erkenntnisse liefern.