Im grauen Flur der Berliner Beratungsstelle warten mehr junge Männer als je zuvor. Seit der Diskussion um Wehrpflicht und das neue Wehrgesetz erleben wir einen regelrechten Ansturm. Die Sorge vor einem möglichen Kriegsdienst treibt viele um, die nach ihren Möglichkeiten fragen. Selbst Männer jenseits der 30 suchen plötzlich Rat, obwohl sie eigentlich nicht mehr betroffen wären.
«Die Anfragen haben sich seit Januar verdreifacht», berichtet Michael Schulze von Glaßer vom Verein Connection. Besonders auffällig: Es kommen nicht nur die typischen Pazifisten. Viele Ratsuchende haben einfach Angst vor einem bewaffneten Konflikt oder können sich aus ethischen Gründen nicht vorstellen, eine Waffe zu tragen. «Die meisten wollen wissen, ob sie überhaupt verweigern können und wie das Verfahren abläuft», erklärt Schulze.
In Deutschland ist das Recht auf Kriegsdienstverweigerung im Grundgesetz verankert. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 war das Thema fast vergessen. Doch die veränderte Sicherheitslage in Europa hat alles wieder aktuell gemacht. Die Bundesregierung beteuert zwar, eine Reaktivierung der Wehrpflicht sei nicht geplant, doch die Verunsicherung bleibt.
Gestern saß mir ein 19-jähriger Student gegenüber. Seine Hände zitterten leicht, als er seine Bedenken schilderte. Ich erinnerte mich an meine eigenen Gespräche mit Wehrdienstverweigerern vor zehn Jahren. Damals war alles theoretischer. Heute spüre ich echte Existenzängste.
Die Renaissance der Beratungsstellen zeigt mehr als Zahlen: Sie spiegelt eine Gesellschaft, die plötzlich wieder mit Fragen konfrontiert wird, die lange als beantwortet galten. Die Rückkehr dieser Debatte ist ein stiller, aber deutlicher Indikator für die Zeitenwende, in der wir uns befinden.