Am Nachmittag wirkt der Reichstag friedlich in der Sommersonne. Doch hinter den glänzenden Glasfassaden brodelt es. Die anstehende Richterwahl fürs Bundesverfassungsgericht lässt die politische Temperatur steigen. Nach monatelangem Stillstand drängt die Zeit – drei Richterstellen müssen bis September neu besetzt werden.
«Wir stehen vor einer Verfassungskrise, wenn wir diesen Konflikt nicht lösen», warnt Rechtsprofessorin Anja Seibert-Fohr im Gespräch mit Journalisten. Ich erinnere mich an 2018, als ich eine ähnliche Pattsituation beobachtete. Damals löste sich der Knoten in letzter Minute. Doch diesmal ist die Lage verfahrener. Die schwarz-rote Koalition benötigt für die Wahl eine Zweidrittelmehrheit, die ohne Stimmen der Opposition unerreichbar bleibt. Die FDP blockiert seit Monaten, fordert einen eigenen Kandidaten. Die Grünen hingegen signalisieren Kompromissbereitschaft.
Am Kanzleramt vorbei schlendere ich zum Spreeufer. Zwei Abgeordnete diskutieren hitzig auf einer Parkbank. «Es geht nicht nur um Posten, es geht um die Grundfesten unserer Demokratie«, fängt mein Ohr einen Satzfetzen auf. Der Streit erschüttert auch das Vertrauen der Bürger. Laut aktueller Forsa-Umfrage bewerten nur noch 58 Prozent der Deutschen das Verfassungsgericht positiv – ein historischer Tiefstand.
Wird die Politik noch rechtzeitig einen Kompromiss finden? Die Uhr tickt. Das Grundgesetz kennt keine Regelung für unbesetzte Richterstellen. Was als Routine-Personalie begann, könnte zur echten Verfassungskrise werden. Manchmal liegen die größten Gefahren für die Demokratie in scheinbar trockenen Verfahrensfragen.